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Die Geschichte des Willhelm Tell aus einem Schulbuch von
1968 |
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Die Geschichte des
Willhelm Tell wie sie uns in der 4. Klasse präsentiert wurde.
Nehmen sie sich Zeit diese Geschichte zu lesen.
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So lernten wir
damals Schweizergeschichte. Interessant, Unterhaltsam und es hat
uns zu dem geformt was wir heute sind. Wir wünschen Ihnen viel
Spass beim lesen und vielleicht ein paar anregende Gedanken wie
es einmal war und was wir heute daraus für parallelen ziehen
können, oder sollten.
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Auf der Burg
Sarnen |
Ein
sonderbarer Zug von Bauern bewegte sich am ersten Maimorgen
über dem Dorfe Sarnen den steilen Weg hinauf zum Burghügel
des verhassten Vogtes. Es war Zinstag. Der Beringer von
Landenberg forderte von seinen Untertanen die Abgaben. Weit
offen standen seine leeren Keller und Speicher. Wehe den
Bauern, wenn bis zum Abend die Räume nicht bis obenauf
gefüllt waren ! Der Landenberger war grausam und schrecklich
in seinem Zorn. Still, mit verbissenen Mienen, stampften die
Obwaldner den Burgweg empor. Ab und zu stockte einer, warf
den gebeugten Kopf zurück und schleuderte seine Last zu
Boden. " Der gelbe Teufel da oben soll sein Futter selber
tragen !" Zuhinterst trieben Buben und Mädchen die Tiere den
Hangweg hinauf, Ziegen, Kälber, Schweine und Lämmer, welche
die Kinder mit Tränen im Stalle losgebunden hatten. Auch ein
altes Weiblein humpelte mit. Es war die Witwe des Karli
Josef. Eine Lawine hatte im Winter ihren Mann verschüttet,
und nun musste sie das beste Gewand des Toten dem Vogt
abgeben. Die ersten Bauern hatten die Burg erreicht. Stolz
reckten sich die Türme zum Himmel empor. Einige Männer
wussten aber auch, wie tief hinein in den Fels sie sich
senkten. Sie kannten die wahnsinnigen Stille dieser finstern
Verliese, in denen nur die Ketten der Gefangenen rasselten.
Die Männer knirschten mit den Zähnen. Mehr wagten sie nicht.
Und sie zuckten zusammen, als sich oben in der Burg ein
Fensterladen öffnete. Wenig später knarrte das Burgtor, und
die Untertanen konnten in den weiten Hof eintreten.
Bewaffnete Knechte behielten die Bauern scharf im Auge. Wenn
einer sich mucksen sollte, würde er es mit ihnen zu tun
bekommen. Ein buntgekleideter Knecht stand vor dem grossen
Tisch. Hinter dem Ohr trug er einen Federkiel, und mit
herrischer Miene musterte er die pflichtigen Bauern. Er
entrollte ein Stück Pergament, auf dem in langen Kolonnen
Namen und Zahlen aufgezeichnet waren. "Nicklaus Amstalden!"
Der schmächtige Schreiberknecht hatte sich auf einen hohen
Stuhl an den Tisch gesetzt und wiederholte nochmals spitz
und ungeduldig: "Niklaus Amstalden ist aufgerufen. Kommt der
Mann, oder muss ich ihn holen lassen ?" Ein grosser, hagerer
Bauer bahnte sich den Weg aus den Reihen der Wartenden.
"Zwei Mütt Kernen
!"(Altes Getreidemass) krächzte der Schreiberling. |
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Das Mütt entsprach in der
Deutschschweiz einer Mannslast (Sack), die im
Mittelland zwischen 65 und 108 Kilogramm betrug.
Grössere Mütt gab es in der Zentralschweiz (138–150 Liter),
in Bern und Solothurn (158–168 Liter) sowie in Graubünden
(165–185 Liter). |
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Der Bauer
schwang seinen Sack von der Schulter und warf ihn unwillig
auf den Tisch. Der Schreiber schaute auf. "He Mann, was ist
das für eine grobe Art ? Ihr seid hier nicht im Kuhstall.
Dort gibt's ein dunkles Loch, wenn es Euch an der Sonne zu
wohl ist." Dabei wies der Schreiber mit seinem dürren
Zeigefinger zum Turm hinüber. Der Bauer knurrte einen Fluch
vor sich hin, der in seinem dichten Bart erstickte. Trotzig
wandte er sich vom Tische ab. Der Schreiber rief die Wache:
"Öffnet den Sack !" Wie ein braves Hündchen eilte der Knecht
herbei und hielt dem mürrischen Schreiber den geöffneten
Sack hin. Dieser fuhr mit seiner weissen Hand durch die
goldenen Körner, schüttete ein paar Handvoll davon auf den
Tisch heraus und schoss wie ein kleiner Teufel hoch: |
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"Hundeware
ist's! Weiss der Amstalden noch nicht, dass er dem Vogt gute
Frucht schuldet ?" Niklaus Amstalden stand schon ganz hinten
bei der Tür. Jetzt hob er den Kopf. Nochmals schob er seine
Leute beiseite und pflanzte sich breitbeinig am Tisch auf. "
Was ist nicht recht an diesem Korn ?" fragte er beleidigt.
"Korn soll das sein - Korn ? Mist ist das, aber keine
Brotfrucht für den Herrn Vogt. Schafft mit gutes Korn herbei
!" Der Schreiber schrie wie ein Besessener. " Oder sollen
meine Knechte es holen ? Kannst dann den Winter durch an
deinem leeren Daumen saugen." Der Bauer horchte auf.
Totenstille war im Hof. Niklaus Amstalden atmete tief, als
er sprach: " Das Korn ist recht. Es ist das letzte, das ich
habe." Der Schreiber sprang vom Stuhl auf. "Du wagst mir zu
wiederreden, frecher Bauer? Weisst du nicht, dass ich für
den Vogt hier sitze und einziehe, was ihr ihm schuldet?" |
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Die
Waffenknechte traten näher, die Hand zugbereit am Knauf des
Schwertes. Die Stimme des Bauern zitterte, als er
entgegnete: "Ich bin ein freier Mann und nur dem Kaiser
untertan. Was ich heute auf die Burg getragen habe, bin ich
dem Vogt nicht schuldig. Ich gebe es, damit er mich in Ruhe
lässt." |
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Gellend lachte
der Schreiberknecht. "Sag das dem Vogt selber ! Er wird dir
dein elendes Hütchen über dem Kopfe verbrennen und dich im
Turme ermodern lassen. Dort hast du dann deinen Frieden."
Nun konnte sich der Bauer nicht mehr beherrschen, und er
platzte heraus: "Schurke, elender ! Geh nur zugrunde an
unserem Korn ! Jetzt ist es genug. Frauen und Kinder
hungern, weil ihr uns alles stehlt. Über unsern eigenen
Boden stampfen die Vogtknechte mit ihren dreckigen Stiefeln
und zerstören uns das Korn, das wir mit Mühe und Schweiss
angebaut haben. Macht nur so weiter ! Euch geht's auch noch
an den Kragen." |
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Noch hatte der
Bauer sein letztes Wort nicht fertig gesprochen, als ihn
schon vier Hände packten. Eine Fessel legte sich eng und
schwer um seine Knöchel. Von der Stiege her dröhnten harte
Schritte. Landenberg der Vogt, war im Anzug. "Was hat der
Bauer getan?" fragte er barsch und blieb auf der erhöhten
Stiege stehen. |
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Eifrig
verklagte der Schreiber den Gefesselten: "Herr, er hat sich
gegen Euch erhoben. Wir mussten ihn binden, sonst hätte er
mich angefallen." Amstalden warf einen zornigen Blick zum
Schreiber hinüber. "Lügner!" knurrte er. Der Vogt hatte das
Wort gehört. Erstaunt über solche Frechheit, näherte er sich
dem Gebundenen. |
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"Seid Ihr
nicht mein Untertan, und wie wagt Ihr vor mir zu reden ?"
Die Augen des Bauern funkelten. "Untertan? Nein, bei Gott
nicht", brach es aus ihm hervor. "Frei waren meine Väter und
Urväter. Dem Kaiser und dem deutschen Reich allein gehören
wir. Keinem Vogte sind wir untertan." Der Landenberger warf
seinen Kopf hoch. "Stehe ich denn nicht für den deutschen
Kaiser hier, und verlange ich nicht das, wozu er mir das
Recht gegeben hat ?" |
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Der Bauer
schwieg einen Augenblick. Es kochte in seiner Brust. "Vogt
seid Ihr uns, jawohl", gab er zurück, "aber Euch hat die
Hölle gesandt und nicht der Kaiser. Hass und Rache, Blut und
Fesseln brachtet Ihr in unsere Berge. Wartet nur, Herr von
Landenberg, einmal wird's auch für uns wieder Tag werden.
Der Vogt erbleichte. Mit einer raschen Handbewegung befahl
er den Knechten:" Führt den Aufrührer weg in den Turm,
vorwärts! Aus meinen Augen mit ihm ! Mein Gott, ich könnte
mich sonst vergessen !" Amstalden blickte nochmals zu den
Seinen zurück. "Grüsst mir meine Frau und die Kinder !" Ein
Stock sauste über seinen Arm. Da verstummte der Bauer. Aber
unter dem Tor, das schon dunkel und feucht gähnte, rief er
nochmals zurück: "Vergesst mich nicht, wenn's tagt !" |
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Ein Schrei
gellte, der den Obwaldnern durch Mark und Bein fuhr. Dann
fiel das Tor. Niklaus Amstalden war getürmt. Von den Bauern,
die mit Korn und Linnen, mit Hanf und Anken wartend in der
Reihe standen, wagte keiner mehr, ein lautes Wort zu
sprechen. Und keiner hob nur seinen Blick, wenn der
Schreiber mit knarrender Stimme seine Gaben schmähte.
Geschlagen trottete einer nach dem andern zum Tor hinaus in
den sonnigen Tag hinein. Nun trat die Witwe des Karli Josef
an den Tisch und wollte dem Knecht ihr Stoffbündel
übergeben. |
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"Was will das
Bettelweib hier ?" herrschte er sie an. Die Frau sank vor
Angst beinahe zu Boden. Mit zitternder Hand schob sie das
Gewand näher. Eine Träne netzte den Tisch. "Es ist alles,
guter Herr, was ich zu bringen habe. Es ist die Todesgabe
für meinen guten Mann selig", stammelte das erschrockene
Weiblein. |
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"Was geht mich
dein Mann an ?" bauzte der Wüterich am Tisch. " Mit diesem
schäbigen Fetzen geht uns kein Knecht vors Tor. Wir werden
die Ziege holen, wenn nichts anderes da ist." |
"die Geiss,
Herr, kann ich nicht geben. Ich habe sonst nichts mehr zum
Leben", klagte die Frau. |
Zornig schlug
der Mann die Fäuste auf den Tisch und brüllte: " Hört das
Gejammer bald auf ? Das Gewand ist unser und die Geiss auch,
verstanden ?" |
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Alle
schwiegen. In diese unheimliche Stille fiel ein
herzzerreissender Wehschrei, dann folgte ein heiseres
Jammern, das allmählich erstickte. "Sie martern unsern
Niklaus Amstalden in der Folterkammer", raunten die Bauern
im Hofe einander zu. Aber einer unter ihnen wurde laut.
"Teufel seid ihr !" schrie ein junger Bursche, der sich
nicht mehr halten konnte. wutschnaubend lief er zum Tisch,
stemmte seinen Butterballen hoch und schleuderte ihn mit
Wucht auf den Tisch nieder, so dass der Schreiber ängstlich
zurückwich und samt dem Stuhl rücklings zu Boden stürzte. |
Soll ich den
Wurm zerstampfen ?" durchzuckte es den Burschen. Dann warf
er einen Blick zum Tor. Noch stand es weit offen, und seine
Leute wichen auseinander. Da riss er aus. Wie vom Tode
gehetzt, rannte der junge Arnold den Burgweg hinunter und
eilte heim ins Melchtal. |
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Die Rache
des Vogtes |
Ein tiefblauer
Himmel wölbte sich über dem Melchtal. Nur den Bergen entlang
segelten ein paar milchweisse Wölklein. Aus der schattigen
Schlucht, in der die
Melchaa schäumend zu Tale sprang, wehte ein frisches
Morgenlüftchen. In den Blütenzweigen jubilieren die Finken,
und auf dem Dach der Scheuer flötete eine Amsel. Im
saftgrünen Gras weideten die Kühe, tummelten sich die
Kälblein und zirpten die Grillen ihr eintöniges Lied. Hoch
über dem Tale, in einsamen Lüften, zog der Adler seine
stillen Kreise. "Hüoo, hüü!" Der stramme, junge Melchtaler
hielt den Pflug an und tätschelte seine beiden Ochsen. "So
ist's recht, brav habt ihr gezogen, immer schön
miteinander", lobte Arnold seine Tiere und gönnte ihnen
gerne eine kurze Rast. |
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Melchaaschlucht: |
Zum Wandern empfohlen:
Bahnhof Giswil - Aussichtspunkt Melchaadossen -
Cholplatz - Werkanlage EWO - Lochkeller -
Rinderhüttli - Bahnhof Giswil |
Wandertipp |
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Während der
Bauer sein Znünibrot verzehrte, blieb ihm plötzlich ein
Bissen im Munde stecken. Starr blickte er gegen den Tobelweg
hinunter. Dann packte er hastig sein Brot wieder ein und
trieb die Ochsen an. "hü, Bär, es geht weiter ! Bis zum
Mittag sind wir fertig." |
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Konrad, der
Knecht, verstand gar nicht, warum es Arnold plötzlich so
eilig hatte. Halb verwundert und halb verärgert fragte er
seinen jungen Meister: "Was ist los, Erni, gibt's heute
keinen Znüni ? Ich habe Hunger." "Ich auch - pflüg jetzt
weiter!" bekam er zur Antwort. Arnold aber wagte nicht mehr,
hangabwärts zu blicken. Dort unten - er hatte sie gesehen -
kamen die Knechte des Landenbergers. |
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"Die
Bluthunde, was wollen sie ?" knurrte er vor sich hin. Nun
hatte auch Konrad die Fremdlinge entdeckt. Entrüstet rief er
Arnold zu : "Schau, dort unten kommt jemand ! Mitten durchs
hohe Gras stampfen sie. Sind die verrückt ?" |
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Arnold aber
wandte seine Ochsen am Ende der Furche, als ob ihn die
Fremden nichts angingen. Diese näherten sich dem Acker und
schritten schnurstracks auf den jungen Bauern zu. Einer der
Knechte - er war mit einem grünen Wams bekleidet - trat
sogar in die frisch gepflügte Erde und rief mit drohend
erhobener Hand: "Halt, Bauer, wir kommen im Namen des
Landvogtes!" |
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Arnold pflügte
weiter, als ob er nichts gehört hätte. Konrad schritt
hintendrein und steuerte den Pflug. Der Anführer gab ein
Handzeichen. Da sprangen seine Begleiter in den Acker,
fassten die Ochsen an den Halftern und brachten mit Mühe das
Gespann zu stehen. |
"Hände weg !
Lass meine braven Tiere in Ruhe!" fuhr Arnold die Knechte
an. |
Diese gaben
frech zurück: "Die Ochsen sind unser. Du kannst den Pflug
selber durch den Dreck ziehen." |
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"Der Vogt hat
kein Recht, uns die Tiere wegzunehmen. Wir haben gezinst,
und wir sind ihm weiter nicht mehr schuldig", gab Arnold mit
fester Stimme zu verstehen. |
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"Zinsen nennst
du das, was du dir auf der Burg erlaubt hast ?
Schurkenstreiche sind das. Warte nur, der Vogt wird sie dir
gründlich austreiben !" Der Knecht im grünen Wams lachte mit
schneidendem Hohn. "Spannt die Ochsen aus, vorwärts!" befahl
der Anführer energisch. Wie eine schützende Wettertanne
stellte sich der junge Bauer vor seine lieben Tiere. |
"Zurück !"
rief er und schwang den Stock, dass die Luft sauste. "Hände
weg, verfluchter Kerl !" wiederholte er. Seine Augen
blitzten, und unter dem weiten Hirtenhemd wogte seine Brust. |
Doch der
Knecht liess nicht locker, sondern fasste das Joch noch
kräftiger an, während ein anderer am Lederzeug zu nesteln
begann. |
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Da sauste der
Stock nieder. "Au, auuu!" heulte der Getroffene und leckte
sich das Blut vom Finger. Er tanzte von einem Bein auf das
andere, während er mit seiner rechten Hand die schmerzende
Linke umklammerte. Der Knecht im grünen Wams schickte die
beiden andern aus dem Acker weg. Dann trat er zum Bauern hin
und drohte ihm mit erhobenem Finger : "Schurke, das hast du
keinem Toten angetan ! Wir werden uns auf der Burg
wiedersehen. Denk daran, der Turm ist feucht und dunkel, die
Wassersuppe dünn ! Auch dich werden wir weich kriegen,
Spitzbube." Hierauf machten sich die Herrenknechte davon,
eilig dem Vogt zu melden, was geschehen war. |
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Auf der
Flucht |
Konrad sass
auf der rohgezimmerten Bank vor dem Hause. Die Nacht war
schon hereingebrochen. Ab und zu guckte der Mond aus einem
Wolkenfenster in die stille Welt. Da konnte Konrad die
Fledermäuse erkennen, die lautlos um den Nussbaum
flatterten. Der Knecht begab sich nochmals in den Stall, um
nachzusehen, ob bei den Tieren alles in Ordnung sei. Dann
polterte er mit seinen groben Holzschuhen über die hohe
Schwelle ins Haus. Vater Heini sass im roten Lichtschein des
Feuers ganz nahe am offenen Kamin. Er war in trübe Gedanken
versunken und atmete schwer. Die Mutter hatte das Nähzeug
vor sich ausgebreitet. Aber der Kummer, der wie ein Stein
auf ihrem Herzen lag, liess sie keinen Stich tun. Tränen
tropften ihr auf den Schoss, und tiefe Falten durchfurchten
ihr Gesicht. Neben ihr stand Margret, das kleine hübsche
Mädchen mit den blonden Zöpfen. Leise flüsterte es der
Mutter zu : "Brauchst keine Angst zu haben. Der Noldi kommt
ganz sicher wieder heim. Beim Vetter in Uri drüben können
ihn die Knechte des Vogtes nicht holen." |
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Der Vater
starrte ins Feuer und seufzte: "Der dumme Bub, uns alle
stürzt er ins Elend, der Hitzkopf. Der Landenberger wird das
Blut bestrafen, das heute in den Acker geflossen ist." |
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Die Mutter
horchte auf. Hatte sie nicht Schritte gehört ? Entsetzen
stand in ihrem Antlitz. Draussen wurden Stimmen laut. Konrad
schob den Fensterladen zurück und rief in die Nacht hinaus:
" Wer ist draussen ?" "Frag nicht, mach die Türe auf !"
erscholl es aus dem Dunkeln. "Auf da, wir haben keine Zeit
zu warten !" |
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Und schon
hämmerten Fäuste gegen die Türe. Totenblass, die beiden
Hände vor dem Gesicht, stand Margret in der Ecke neben dem
Kamin. Der Vater fasste das zitternde Kind am Arm. "Du
Dummes, steig hinauf in die Diele und versteck dich gut,
sonst nehmen dich die Rohlinge mit auf die Burg !" |
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Während das
Kind hastig die Leiter erklomm, schlugen die Knechte gegen
die Türe, so dass der Drehpfosten bedenklich krachte. Die
rauhen Stimmen drohten : "Wird's bald, oder wir werfen Feuer
aufs Dach !" |
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Konrad fasste
die schwere Axt beim Scheitstock und wollte sich mit ihr zur
Türe begeben. Der Vater aber wehrte es ihm. "Lass das, mit
Schlagen richten wir nichts aus !" Gefasst schritt er zur
Türe und schob den Balken zurück. Wie eine wilde Horde
drängten die Männer herein. "Schaff mir den Buben her, Alter
!" schnauzte der vorderste der Eindringlinge. "Verzeiht, er
ist nicht hier ! Er hat das Haus verlassen und ist in die
Berge geflohen. Gott weiss, wo er ist", beteuerte der Vater.
Die Knechte schlugen ein schallendes Gelächter an, und der
Anführer höhnte: "Du alter Fuchs, dich kennen wir, so leicht
entgeht uns dein Bube nicht." Seinen Knechten aber befahl
er: " Kehrt dem Alten das Haus und bringt mir den
Elendschinder zur Stelle!" |
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Nun polterten
die rohen Männer durchs ganze Haus, durchsuchten und
durchschnüffelten Kisten und Kästen, warfen die Stühle um,
kehrten die Laubsäcke und schlugen zuletzt im Keller die
Fässer entzwei. |
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Die Mutter
stiess einen Schrei aus, als einer der mutwilligen Knechte
die Leiter bestieg und mit der Fackel in die Diele
leuchtete. |
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"Ihr zündet
uns das Dach an. Um Himmels willen kommt herunter !" flehte
die Mutter. Sie bangte um ihr Kind. Der Vater fasste den
Knecht am Arm und zog ihn von der Leiter weg. Entschlossen
sprach er: "Lasst ab, ihr findet den Buben nicht ! Und damit
ihr mir endlich glaubt, dass er nicht hier ist, will ich mit
euch auf die Burg kommen. Ich weiss, mein Sohn ist schuldig.
Ich werde den Vogt um Verzeihung bitten und, wenn's sein
muss, auch büssen." |
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"Du willst
mich verlassen, Heini ? Nein, das darfst du mir nicht
antun." Die Mutter schwankte und fiel in Ohnmacht. Konrad
trug sie auf einen Stuhl und blieb bei ihr, bis sie wieder
zu Sinnen kam. Unterdessen hatten die Schergen den Vater auf
ein Pferd gebunden. Der Mutter wollte das Herz brechen, als
sie sah, wie die Spiessgesellen ihren guten Mann in die
finstere Nacht hinaus entführten. Zitternd wie Espenlaub
stieg Margret von der Diele herunter und warf sich der
Mutter in die Arme. Beide hielten einander innig umschlungen
und schluchzten Herzzerbrechend. |
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In der
gleichen Nacht hielt sich Arnold in einem Heuschober auf der
Farnalp versteckt. Beim Morgengrauen setzte er seinen
einsamen Weg fort über abgelegene Alpen, durch reissende
Wildbäche und steilen Rüfen entlang dem Urnerland entgegen. |
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Die
Schandtat |
Der Landvogt
stand mit verschränkten Armen im grossen Rittersaal. Seinen
Blick hatte er zur Decke gehoben, wo er die neuen Malereien
bewunderte. Durch die Fensterscheiben neben dem prunkvollen
Kamin fielen farbige Lichtstrahlen in den Raum und bildeten
am Boden bunte Kringel. Die Türe öffnete sich. Zwischen zwei
Knechten, mit schweren Ketten gefesselt, schleppte sich der
Melchtalbauer in den Prunksaal. Sein Gesicht war entstellt
von den blauen und roten Beulen, welche ihm die
Folterknechte geschlagen hatten. |
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Der Landvogt
brüllte den gebrochenen Mann an: " Heraus jetzt mit der
Sprache ! Wo steckt dein Bub ?" |
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Der Bauer
zuckte die Achseln und schwieg. Das machte den Landenberger
rasend. Er schüttelte den Gefesselten und schrie in an:
"Gibst du mir endlich Antwort, du niederträchtiger Fuchs,
oder muss ich dich in den Ketten zermalmen lassen ?" |
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"Ich kann
nicht sagen , was ich nicht weiss", antwortete der arme
Mann. " Lügenmaul, du kennst mich nicht, sonst würdest du
nicht wagen, meinen Zorn zu erregen !" |
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"Würden wir
Euch nicht kennen, mein Sohn wäre nicht in die Berge
geflohen", wagte der Greis zu widersprechen. |
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Bei diesen
Worten fuhr der Vogt wie ein Besessener auf und schrie durch
den Saal: " Die Eisen ins Feuer ! Brennt dem Schurken die
Augen aus!" Mit ausgestrecktem Arme wies er den Gefangenen
samt seinen Schergen zum Saal hinaus. |
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Noch am
gleichen Abend gellten furchtbare Schreie durch die Hallen
der Burg. Im Stall und Hof verstummten die Knechte, und die
Mägde bekreuzigten sich. "Der Herrgott sei dem Armen gnädig
!" als das Wehgeschrei verstummt war, kehrte wie ein Fluch
eine unheimliche Stille in die weiten Räume der Burg zurück. |
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Am andern Tag
tastete sich ein gebrochener Mann den Burgweg hinunter. Es
war der geblendete Melchtalbauer. |
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Werner
Stauffacher |
Von blühenden
Blumen umgeben, sass Frau Gertrud auf der Bank vor ihrem
neuen, stattlichen Hause. Die letzten Sonnenstrahlen
gleissten in den blanken Butzenscheiben, während die bunten
Wappenbilder über der obersten Fensterreihe schon im
Schatten lagen. Vom Kirchturm herüber glöckelte es Betzeit,
und wie zwei mächtige Herolde glühten die Mythen im
Abendschein. Mit gefalteten Händen las die Stauffacherin den
schmucken Hausspruch, der zwischen den leuchtenden
Fensterblumen die wuchtige Hausfront zierte: " Gott schütze
Haus und Land vor Hunger, Not und Brand !" Frau Gertrud
atmete erleichtert auf, als sie ihren Mann auf dem Weg zum
Hause erblickte. |
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Landammann
Werner Stauffacher war am Morgen nach Brunnen gefahren. Da
er nun einen strengen Tag hinter sich hatte, setzte er sich
erschöpft neben seiner Frau auf die Bank nieder. Auf den
Bergen war das letzte Licht erloschen. Eine Amsel sang im
Gezweige, und auf einem fernen Bauernhof kläffte ein Hund.
Nach einem kurzen Schweigen begann Stauffacher zu berichten
: " Ich habe heute vernommen, Kaiser Rudolf sei vor ein paar
Tagen in Speyer gestorben." |
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Frau Gertruds
Augen leuchteten auf: "Der Kaiser tot, dann sind wir ja
wieder frei. Jetzt könnt ihr's doch wagen. Jagt die Vögte
zum Land hinaus ! Wie wird sich Walter Fürst freuen ! Wissen
sie die Nachricht schon in Uri ? - Warum freust du dich den
nicht, Mann ? Wenn doch der Kaiser tot ist, was wollen die
Vögte noch ausrichten ?" Frau Gertrud glühte vor Eifer.
"Vorläufig hocken sie noch fest in ihren Burgen", antwortete
der Landammann ohne Begeisterung. "Eben hat Gessler
verkünden lassen, er sei jetzt Regent im Land, bis der neue
Kaiser gewählt sei. Für das Kaiserbegräbnis fordert er eine
neue Abgabe. Der silberne Sarg für den toten Habsburger
kostet Geld. Wer nicht zahlen will, den schickt Gessler nach
Silenen. Dort baut er jetzt einen neuen Gefängnisturm, mit
dem er die Urner bezwingen will. Zwing-Uri nennt er ihn.
Siehst du Frau, es wird nicht so leicht sein, mit diesen
verhassten Herren abzurechnen." |
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Meieramtsturm der Edlen von Silenen, erbaut im 11. oder 12.
Jahrhundert |
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Stauffacher
schwieg. Plötzlich schreckte das Traben von Rossen die
friedlichen Leute im Garten auf. Um die Ecke ritten schon
die Trabanten des Vogtes daher. Hinter ihnen, auf stolzem
Hengst, folgte Gessler selber. Sein tross war schon vorüber,
als der Vogt sein Pferd anhielt und finster zum neuen Hause
emporblickte. Er führte seinen Rappen näher an den Garten
heran und schaute hochmütig auf den Landammann nieder, der
sich von der Bank erhob und den Vogt ehrerbietig grüsste. |
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"Wer bist du,
dass du in einem solch vornehmen Hause wohnst ?" fragte
Gessler, ohne Gruss, schneidend und barsch. Stauffacher
antwortete: " Ihr kennt mich wohl, Herr. Ich bin der
Stauffacher." Ein rauhes Lachen schüttelte den Vogt. "Ach
so, der Landammann, der die Bauern verhetzt. Dafür haust er
in einem Prunkhaus, wie selbst ein Edler kein schöneres
besitzen könnte. Ein nobler Bauer, das muss ich sagen." |
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Das Blut wich
Stauffacher aus dem Antlitz. Seine Frau fasste ihn heimlich
bei der Hand und schaute ihn flehend an. Da beruhigte sich
der Landammann wieder. Aber schon traf ihn Gesslers zweite
Frage: "Wem gehört dieses Haus ? Ich will es wissen."
Stauffacher blieb ruhig und gab kurz und bündig Antwort.
"Das Haus ist mein, vom Kaiser mir verliehen." Jetzt brauste
Gessler auf. "Was sagst du, Bauer ? - Dein Haus ? Weisst du
nicht, dass du ein Knecht und Untertane bist und kein Recht
hast, ein Haus zu bauen, wie es dir gefällt ? Soll ich dich
zur Zwing-Uri schicken ? Dort kannst du an deinem eigenen
Gefängnis bauen." |
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Frau Gertrud
wollte das Herz stille stehen, als sie das Wort "Zwing-Uri"
vernahm. Werner spürte den Schrecken seiner Frau und wollte
darum den Vogt nicht unnötig reizen. Nochmals antwortete er
gelassen : "Ich habe mein Haus auf meinem eigenen Boden
gebaut. Dem Vater gehörte das Land, und das Haus ist
bezahlt." Das Gesicht des Tyrannen verzerrte sich bei diesen
Worten. Jäh griff er in die Zügel, so dass sich das Ross
aufbäumte. Die Frau schrie auf. |
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"Schrei nur,
Weib !" rief Gessler, bevor er sich entfernte. "Ich werde
deinem Mann noch zeigen, wer hier in Schwyz Herr und Regent
ist. Bauern und Taglöhner bauen keine Steinhäuser. Lass euch
das gesagt sein ! Ich werde euch wieder finden." Dann
sprengte der Wüterich auf seinem schwarzen Hengst davon.
Sein Mantel flatterte, und die Auerhahnfeder wiegte sich im
wilden Galopp. |
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Die Burgruine
Zwing-Uri (früher auch Twing-Ury) steht auf
dem Hügel «Flüeli» nördlich von Amsteg in der
Gemeinde
Silenen. |
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Gessler ritt
in Altdorf ein. Schnurstracks lenkte er sein Pferd auf den
Dorfplatz. "Der Vogt ist da !" Wie ein Lauffeuer verbreitete
sich die Nachricht bei den Altdorfern. Die Mütter riefen
ihre Kinder ins Haus, und die Männer schlugen die Fenster
zu, als der Hufschlag an ihre Ohren drang. Auf dem Platz,
mitten im Dorfe, stand eine hohe Stange. Auf dieser hatte
Gessler seinen Hut aufgepflanzt und den Urnern verkündet: "
Wer den Hut nicht grüsst, und wer ihm nicht die Ehre
erweist, die ihr eurem Vogt und Gebieter selber schuldig
seid, der ist ein Feind des Kaisers und wird harte Strafe
erfahren." |
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Seit dieser
Hut an der Stange hing, war der Dorfplatz wie ausgestorben.
Niemand mehr betrat ihn, und die Wächter unter dem Hut
langweilten sich. Gessler sah sich auf dem menschenleeren
Platz verwundert um. Barsch wandte er sich an einen der
Wächter: " Gibt's etwas zu melden ?" Der Angeredete rannte
zum Pferd, verneigte sich tief vor seinem Herrn und
berichtete: " Vom Morgen bis zum Abend kommt hier kein
Mensch vorüber. Nur die Hühner und die Schweine tummeln sich
auf dem Platz." Gessler schüttelte verärgert den Kopf, gab
dem Pferd die Sporen und liess den Knecht ohne Antwort
stehen. Er sprengte dorfauswärts Silenen zu, wo er den Bau
der Zwing-Uri besichtigen wollte. Dort bimmelte das
Glöcklein vom Turme. Die Fronbauern liessen ihre Pickel
fallen und falteten die Hände zum Gebet, wie sie es sich von
alters her gewohnt waren. Aber da donnerte die Stimme des
Aufsehers: "Hat euch der Vogt zum Beten angestellt oder zum
Arbeiten ?" Dabei sauste die Peitsche über den, der am
nächsten stand. Das zerrissene Hemd färbte sich rot. |
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Es war schon
ganz dunkel geworden, als von Silenen her Pferdegetrappel
hörbar wurde. Nicht mehr lange dauerte es, da stand Gessler
im Hofe, den seine Begleiter mit Fackeln erhellten. die
Frontleute warteten auf die Abendsuppe. Unwillig erhoben sie
sich vor Gessler. Jeder hielt den Holznapf in der Hand und
spähte gierig nach dem Essen. Schon seit Stunden knurrte
ihnen der Magen. Wie Verbrecher mussten die Männer dastehen,
und keiner durfte ein lautes Wort sprechen. Ihre Nacken
beugten sich noch tiefer, als der Vogt an ihnen
vorüberschritt. Keiner wollte den Verhassten sehen. |
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Gessler aber
rief sie auf: " Wieso steht ihr herum ? Bald ist der Winter
da, und die Burg muss stehen, bevor es einschneit,
verstanden !" |
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Die Aufseher
rannten herbei und brüllten aufgeregt : "Fort an die Burg
jetzt ! Volle Bäuche arbeiten nicht gern !" Solche Sprüche
gefielen dem Vogt, und er lächelte hämisch und befriedigt
vor sich hin. |
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Ein junger
Steinauer, der Rüti Josef, trank noch seelenruhig seine
Suppe weiter, als seine Kameraden schon wieder an der Arbeit
waren. Der Knecht schlug ihn mit der Peitsche, dass er den
Holznapf fallen liess. Der Vogt hatte das Gepolter gehört
und trat näher. |
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"Er gehorcht
nicht. Der Bauer will seinen Stierennacken nicht beugen",
verklagte ihn der Aufseher. "Sperr ihn ein !" befahl der
Vogt unwirsch, "ich kann keine Rebellen brauchen." |
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Der Aufseher
getraute sich zu sagen :" Herr, wir haben noch kein
Gefängnis fertig gebaut. Wohin soll ich ihn bringen ?"
Gesslers Zorn schwoll an: " Faulenzer, Tagediebe seid ihr !
Wenn ihr noch keinen Kerker habt, so baut sie. Tag und Nacht
sollt ihr keine Rast bekommen, bis die Zwingburg fertig ist.
Los, bindet den Rebellen ! Legt ihn in Ketten und bringt ihm
mit Peitsche das Gehorchen bei ! Sobald ihr ein Kerkerloch
fertig habt, werft ihn hinein !" |
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Die Fronmänner
, die die kreischende Stimme Gesslers vernahmen, sahen
einander an. Im Scheine der Fackeln glichen ihre Augen
glimmenden Feuern. Einige murrten, andere hieben verbissen
die Pickel auf die Steine. Gessler bestieg sein Ross. Bevor
er ihm die Sporen gab, wandte er sich nochmals an die
Aufseher: "Noch etwas, he ?" Weil alle schwiegen, entfernte
er sich mit seinem Gesinde. |
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Geduckt und
wundgeschlagen kehrte Josef an die Arbeit zurück. Die ganze
Nacht hindurch fielen die Hämmer und Pickel auf die Steine,
und in hellen Klängen widerhallten die Schläge am nahen
Felsen. |
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Der Schwur |
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Der junge
Melchtaler und sein Vetter Walter Fürst sassen zusammen am
schweren Eichentisch in der dämmerigen Stube. Die Base schob
die Läden vor, dann holte sie den Öltiegel in der Küche,
zündete den Dolcht an und stellte das Licht auf den
Scheffel. Eine schwarze Nacht war über Altdorf
hereingebrochen. |
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Seit Arnold
sich in ihrem Hause versteckt hielt, kannte die Frau keine
ruhige Stunde mehr. Vor ein paar Tagen waren bewaffnete
Knechte ins Haus eingedrungen und hatten in allen Kammern
den flüchtigen Melchtaler gesucht. Noch steckte ihr der
Schrecken in allen Gliedern, und beim leisesten Knacken im
Gebälk horchte die Base auf wie ein scheues Reh.
Niedergeschlagen setzte sie sich auf die Bank neben dem
Kamin und begann leise zu beten. |
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Es klopfte an
die Türe. Walter Fürst schob den Riegelbalken zurück. Er
hiess seinen späten Gast freundlich willkommen und führte
ihn in die heimelige Stube. Werner Stauffacher wischte den
Schweiss von seiner braunen Stirne und begann noch keuchend
die ersten Worte zu sprechen: "Es ist ein Elend, so zu
leben." "Ihr habt Kummer, guter Freund ?" fragte Walter
Fürst mit seiner weichen ruhigen Stimme. |
 |
Da schüttete
der Landammann das Herz aus: "Der verruchte Gessler hat mir
Rache geschworen, weil ich auf meinem eigenen Grund und
Boden ein neues Haus errichten liess. Taglöhner und
Bauerngesindel hat mich der Frechling gescholten. Und nun
bin ich meines Lebens nicht mehr sicher vor dem Henker.
Nein, ich lass mich nicht in den Turm werfen. Sind wir denn
Sklaven, die man einfängt und ertränkt wie die Mäuse ? Ich
meine, es ist jetzt höchste Zeit, dass wir uns wehren und
den Vögten den Garaus machen. Ich pfeife auf ein solches
Leben in Angst und Verfolgung. Wir sind es unseren Kindern
schuldig, dass wir die Waffen schmieden und ihnen eine freie
Heimat als Erbe hinterlassen." |
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In den Augen
des jungen Arnold leuchtete eine heimliche Freude auf. Der
Stauffacher hatte ihm ganz aus dem Herzen gesprochen. Sich
zusammenschliessen, die Waffen schmieden und die Burgen
anzünden, davon hatte er schon in mancher Nacht geträumt. Er
glühte beim Gedanken, dass nun die Zeit der Vergeltung
gekommen war. Gespannt wartete er auf die Antwort seines
Vetters. |
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Walter Fürst
strich sich durch seinen ergrauten Bart, während er sich
noch einen Augenblick besann. Dann begann er zu sprechen: "
Mein Freund, die Vögte können wir vertreiben. Das wird uns
gelingen. Aber was richten wir aus gegen ein glänzendes und
kriegsgewohntes Ritterheer der Habsburger ? Wir würden
geschlagen, und unsere Kinder hätten noch grössere Plagen
auszustehen, als wir sie heute erdulden." |
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"Der Kaiser
ist tot, und in den Bergen kann das beste Ritterheer nicht
kämpfen", platzte der junge Bursche heraus. "Wenn wir
zusammenstehen, die Männer von Uri, Schwyz und Unterwalden,
werden wir stark sein, und Gott wird uns beistehen." |
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Der greise
Vetter dämpfte die Begeisterung des Jungen. " Du bist noch
unerfahren und hast heisses Blut in deinen Adern. Wir dürfen
keine unüberlegte Tag wagen." |
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Ein heftiges
Gepolter an den Fensterläden unterbrach den Vetter. Eine
krächzende Stimme ertönte von draussen: "Habt keine Angst !
Der Balz ist's." |
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Walter Fürst
schob den Laden zurück und rief der zerlumpten Gestalt zu:
"Bekommst keinen Schnaps heute Abend. Kannst im Stall ruhen.
Die Decken sind im Tenn. Geh jetzt und schlaf gut !" |
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Balz aber
blieb stehen und beteuerte, er habe noch etwas Wichtiges zu
melden. Er komme von der Blackenalp. Dort habe er von einem
Unterwaldner erfahren, der Heini von Melchi sei geblendet
worden. Es sei furchtbar, mit glühendem Eisen die Augen
ausgestochen. "Gut' Nacht." |
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Arnold hatte
die Worte des Alten verstanden. "Geblendet !" schrie er.
"Wenn das wahr ist !" Er ballte die Fäuste, und eine Weile
starrte er stumm vor sich hin. Dann fuhr er plötzlich auf
und rief: "Der Schuft soll nicht mehr weiterleben!" |
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Nochmals
bäumte er sich auf, dann brach sein Zorn wie ein loderndes
Strohfeuer in sich zusammen, und er schluchzte laut. Walter
Fürst und Werner Stauffacher sahen einander schweigend an.
Der Schmerz des Jungen einigte sie. Der greise Vetter fasste
den Unglücklichen bei der Hand und gelobte ihm: "Sei guten
Mutes, wir werden deinen Vater rächen ! Wir schwören es."
Werner Stauffacher und der junge Melchtaler wiederholten die
feierlichen Worte: "Wir schwören es." Hierauf suchten die
drei ersten Eidgenossen ihre Nachtlager auf. |
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Gesslerburg in
Küssnacht. Sie ist wie die Hohle Gasse im gleichen
Ort. Laut dem Geschichtsschreiber Aegidius Tschudi
soll sie der Sitz von Landsvogt Hermann Gessler
gewesen sein. Die Ruine der Gesslerburg befindet
sich seit 1908 im Besitz der Schweizerischen
Eidgenossenschaft. |
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Gessler,
der «Reichsvogt in Schwyz und Uri», ist ein
legendärer Vogt der habsburgischen Herrschaft in
Schwyz und
Uri zur Zeit der Entstehung der Alten
Eidgenossenschaft. Nach der Legende bei Aegidius
Tschudi soll Wilhelm Tell, ein Mitglied im Bund der
Eidgenossen in der Hohlen Gasse bei Küssnacht am
Rigi den hohen habsburgischen Staatsbeamten
Gessler mit einem Pfeil aus seiner Armbrust
erschossen haben, nachdem dieser ihn zum Apfelschuss
gezwungen hatte und danach lebenslang einkerkern
wollte. Dieser Mord sei der unmittelbare Anlass
gewesen für den bewaffneten Aufstand der heimlich
Verbündeten.
Quelle: Wickipedia.org |
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Der Hut auf
der Stange |
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Rings um den
Dorfplatz zu Altdorf war alles ruhig. Wie eine verlassene
Vogelscheuche auf einem abgeernteten Acker baumelte Gesslers
Kopfputz auf der hohen Stange. Der eine Wächter lehnte sich
müssig gegen eine Mauerwand und gähnte vor Langeweile,
während der andere zum Zeitvertreib mit einem Sandstein die
Schwertschneide blank schabte. Von Zeit zu Zeit suchte ein
durstiger Altdorfer das Wirtshaus am Platze auf. Damit er
den Hut nicht grüssen musste, drückte er sich den Häusern
und Zäunen entlang, bis er im Hausgang verschwinden konnte. |
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Auf einmal
entstand eine Aufregung auf dem Platz. Aus einem Gässlein
schoss ein Schweinchen hervor und raste mitten auf den
Platz. Hier blieb es stehen und schnüffelte am Boden.
Allmählich näherte es sich der Stange. "Schaff das
Schweinevieh weg !" schnauzten die Wächter das Weiblein an,
das mit einem Stock in der Hand am Rande des Platzes
stehengeblieben war und verzweifelt das entlaufene Tierchen
zu sich lockte. Wenn nur die Stange nicht wäre ! Sie konnte
doch den Platz nicht betreten, ohne sich vor dem Hut zu
verbeugen. Und dem Gessler die Ehre geben, nein, das wollte
die Frau auf keinen Fall tun. Das Schweinchen aber schien
sich auf dem menschenleeren Platze recht wohl zu fühlen. Es
glaubte sich hier sicher, und dass die Knechte laut
schimpften und wetterten, machte ihm nicht sonderlich
Eindruck. |
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Als der kleine
Köbi sah, wie die arme Liese vor Angst und Aufregung sich
kaum mehr zu helfen wusste, rannte er mitten auf den Platz,
verneigte sich brav vor dem Hute und fasste das Schwein am
Strick. Er hob es auf die Arme. Fast wäre er mit dem
schreienden und strampelnden Tierchen gestrauchelt. |
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Die alte Frau
wusste kaum, wie sie dem hilfreichen Buben danken sollte.
Sie strich ihm mit der Hand durch seinen blonden Wuschelkopf
und flüssterte ihm ins Ohr :" Komm mit mir ! Ich habe noch
etwas Gutes für dich daheim. Bist ein kleiner Engel gewesen.
Aber weisst, vor dem Gesslerhut hättest dich nicht verneigen
sollen." |
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"Das hab' ich
mich auch nicht", setzte sich der Bub eifrig zur Wehr.
"Weisst, Liese, ich habe neben dem Hut vorbei zum Himmel
empor geblickt und, als ich das Knie beugte, leise für mich
gesprochen: "Lieber Gott, vor dir verneige ich mich.
Vertreib den Gessler und die Vögte aus unserem Land !" |
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Die Alte
musste herzhaft lachen, und doch glänzte eine Träne in ihren
Augen. Der kleine, witzige Köbi war immer so gut mit ihr. |
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Apfelschuss in Altdorf |
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Der
Apfelschuss |
Es ging gegen
Mittag. Die Sonne brannte heiss hernieder. Schläfrig hockten
die Wartknechte in der Nähe der Stange. Sobald von
irgendwoher Hufschläge zu vernehmen waren, schnellten sie
auf, um in strammer Haltung dazustehen, sollte etwa Gessler
im Anzug sein. Am Morgen war er gegen Silenen geritten, um
bei der Zwing - Uri zum Rechten zu sehen. Jeden Augenblick
konnte der gestrenge Herr zurückkehren. |
 |
Plötzlich
widerhallte Mannesschritt von den Hauswänden. Ein
baumstarker , junger Mann mit geschulteter Armbrust, einen
munteren Buben an der linken Hand führend, schritt über den
Platz. Der Wächter blickte auf. Der eine stiess den andern
in die Seite und flüsterte ihm zu: " Der Tell aus Bürglen.
Sein Sohn ist mit ihm." Vater und Sohn schritten geradewegs
am Hut vorbei. Auf diesen Augenblick hatten die Knechte
schon lange gewartet. Wie von einer Wespe gestochen,
schossen sie hoch und riefen: " Halt da, ihr habt den Hut
nicht gegrüsst !" Die Angeredeten blieben stehen. Doch
lachte Tell kurz auf und wollte sich entfernen. |
 |
"Halt, nicht
weiter !" befahl der eine Wartknecht mit scharfer Stimme,
während der andere aus Leibeskräften pfiff, um die übrigen
Spiessgesellen herbeizurufen. Fünf weitere rannten daher und
stemmten Tell ihre Spiesse vor die Brust. Der Knabe schrie:
"Lasst den Vater los!" Das Bübchen hielt sich krampfhaft am
einen Bein des Vaters. "Brauchst dich nicht zu fürchten",
ermunterte Tell sein Kind, und zu den Knechten gewandt,
sprach er verärgert: "Macht hier kein Aufsehen und lasst
mich ziehen!" |
 |
Aber die
Knechte gaben keine Antwort, sondern fuchtelten immer
drohender mit ihren Waffen. aus den Gassen und den
umstehenden Häusern liefen die Leute herbei. Laut klagten
sie: "Um Gottes willen, der Tell ist gefangen!" Alle kannten
und liebten den starken Bauern aus Bürglen, der kein Wetter
und keinen Sturm auf den Bergen und dem See fürchtete. |
 |
"Wäre er doch
daheim geblieben ! Jetzt ist er dem wüsten Gessler ins Netz
gegangen. Und der kleine Wälti, wie er zittert vor Angst !"
so jammerten die Leute, doch niemand wagte, die beiden aus
den Händen der Knechte zu befreien. Trotzig wie ein Baum,
der nicht zu fällen war, stand Tell zwischen den
vorgestreckten Lanzen und blickte furchtlos um sich. Da
ertönte ein Horn. Pferdegetrappel erfüllte die Gassen. Der
Landvogt ritt auf den Platz, sein grosses Gefolge hinter ihm
her. Gessler hörte sich kurz die Klage des Wächters an, dann
näherte er sich Tell und fragte ihn herrisch: " Wer bist du,
dass du den Hut nicht grüssest ?" " Ich bin der Tell aus
Bürglen." |
 |
Gessler lachte
laut: "Darum meinst du, mein Gesetz gelte für dich nicht."
Tell fuhr das Blut ins Gesicht. Das grobe Gelächter des
Vogtes hatte ihn beleidigt. Er blieb aber ruhig und
antwortete bestimmt: "Ich habe die Gesetze Gottes und des
Kaisers immer gehalten. Was Ihr mit dem Hut verlangt ist
schmählich. Ein freier Bauer beugt sein Knie nicht vor einem
leeren Kopfschutz." |
 |
Gesslers
Gesicht verfinsterte sich, und mit kaltem Blick mass er den
starken Bauern vom Scheitel bis zur Sohle. Seine Stimme
wurde drohend. " Und wenn ich von dir verlange, dass du vom
Morgen bis zum Abend im Dreck kniest, so hast du mir zu
gehorchen. Merk dir das endlich, wiederspenstiger Bauer!" |
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Tell wandte
sich verächtlich vom Landvogt ab. "Komm, Walter!" sagte er
und fasste den Knaben bei der Hand. Der Knecht aber hielt
die beiden zurück. Da schüttelte Tell ihre Hände ab. Seine
Augen blitzten böse. |
 |
"Lasst mich
endlich los ! Herrgott, ihr reizt mich noch !" "Bindet ihn!"
brüllte der Vogt. die Armbrust fiel zu Boden. Walter hob sie
auf. "Du bist der Sohn ? Gib Antwort !" |
 |
Ganz verwirrt
blickte der Bub um sich, weil er kaum wagte, mit dem
gefürchteten Gessler zu reden. "Bist du es ?" Der
verschüchterte Knabe nickte nur, als ihn die scharfe Frage
Gesslers zu zweitenmal traf. Rings um den Platz standen die
Altdorfer an den Fenstern und Türen. Ihre Herzen klopften
bang. Da ging plötzlich ein boshaftiges Grinsen über des
Vogtes Antlitz. Was hatte der Tyrann im Sinn ? Er ritt ganz
nahe zu Tell und lachte vor teuflischer Freude. |
 |
"Du bist ein
guter Schütze, wie man sagt." "Ihr wisst es", antwortete
Tell kurz und bündig. "Weisst du Bäuerlein, dass ich dir
dein Leben nehmen kann, wenn es mir gefällt ?" |
 |
Während diesen
furchtbaren Worten hatte der Vogt mit seiner Ledergerte Tell
über den Kopf gestrichen und hämisch dazu gelächelt. " Ihr
habt kein Recht auf mein Leben", erwiderte Tell. Wieder
lachte Gessler kurz und trocken. " Kein Recht, sagst du ?
Ich will dir heute noch zeigen, wozu ich ein Recht habe. Ich
bin ein Freund des Kaisers, verstehst du ? Auch wenn er tot
ist, das tut nichts zur Sache." |
 |
Er zwinkerte
mit den Augen, als er den Knaben wieder anredete: "Dein
Vater trifft gut, nicht wahr?" "Gewiss, Herr Vogt",
versicherte der Bub bestimmt, "mein Vater trifft jeden Vogel
im Flug." |
 |
"Wohl denn, so
wollen wir uns einmal ein solches Meisterstück ansehen.
Stell dich dort unter die Linde ! Der Vater wird dir einen
Apfel vom Kopfe schiessen." |
 |
Tell wurde
totenblass. Die Worte des Vogtes hatten ihn wie ein
Blitzstrahl getroffen. Er sah seinen Knaben vor sich. Da
trat er näher zum Ross und flehte: " Was denkt Ihr, Herr ?
Auf mein Kind einen Pfeil abgeben ? Ihr verlangt zuviel." |
 |
Gessler aber
höhnte nur: " Wenn du auf dein Kind schiesst, so ist das
deine Sache. Ich sage: Den Apfel sollst du treffen. Und
jetzt heran an das Meisterstück, sonst bist du verloren!" |
 |
Im Kreise
schrien die Frauen auf, und die Männer murrten: "Das geht zu
weit, Gessler." "Ich hab' keine Angst. Vater, schiess nur !
Ich halte ganz still." |
 |
Schon rannte
der Bub zum Baum, stellte sich keck an den Stamm und legte
sich einen rotbackigen Apfel auf den Kopf. "Vierzig
Schritte, keinen mehr und keinen weniger !" kommandierte
Gessler von seinem Pferd aus. Die Leute wagten kaum mehr zu
atmen. Regungslos stand Tell im Rund. Unterdessen hatten die
Knechte vierzig Schritte abgemessen. |
 |
Gessler
drängte ungeduldig. "Vorwärts, Meisterschütze, ich habe
Gescheiteres zu tun, als hier unnütz Zeit zu verlieren !" |
 |
Tell raffte
sich auf. "Tu es nicht ! Es ist Gott versucht", rief es aus
dem Volke. "Ruhe!" befahl der Tyrann auf dem Ross. |
 |
Tell spannte
den Bügel, legte den Pfeil auf den Steg und sank langsam in
die Knie. Nochmals wischte er den Schweiss aus der Stirne
und führte fast unmerklich einen zweiten Pfeil in sein Wams.
Tief atmete er, als er die Armbrust hob und zu zielen
begann. Das Herz hämmerte in seiner Brust. Ein furchtbarer
Anblick für den Vater: hier die Pfeilspitze und drüben das
liebe Antlitz seines Buben. ein Schleier legte sich ihm vor
die Augen. Da senkte Tell die Armbrust nochmals, und leise
brach's aus seiner Brust hervor: "Ich kann's nicht." Doch
als er plötzlich den zweiten Pfeil fühlte, gewann er neuen
Mut. Jetzt ging's rasch. wieder hob er die Armbrust, zielte
- und schoss. |
 |
"Getroffen !
Tell ist frei ! Gott war mit ihm ! Das war ein Meisterschuss
!" tönte es jetzt in einem vielstimmigen Chor. |
 |
Wälti rannte
mit dem durchbohrten Apfel zum Vater, umtanzte ihn und rief
ununterbrochen: " Schau doch, Vater, genau in der Mitte hast
du ihn getroffen, ganz genau in der Mitte!" |
 |
Der Vater
drückte seinen tapferen Buben an sich. Beide waren
überglücklich. Was wollte Gessler noch, dass er den braven
Tell nochmals anredete ? "Bauer, ich habe dir dein Leben
zugesichert. Kannst also ehrlich sein. Sag mir, warum nahmst
du noch einen zweiten Pfeil zu dir ?" |
 |
Wie ein Blitz
aus heiterem Himmel schlug diese Frage ein. Tell zitterte
vor Erregung. Was sollte er sagen ? Eine Ausrede ? Eine Lüge
? Nein, er liebte die Wahrheit. Entschlossen gestand er: "
Hätte ich mein Kind getroffen, so wäret Ihr nicht mehr
lebend nach Küssnacht gekommen. Der zweite Pfeil hätte Euch
gegolten." "So also war es gemeint. Ich hab es mir gedacht",
antwortete Gessler. Sein Gesicht hatte sich zigerbleich
verfärbt, und plötzlich schnaubte er in einem Wutanfall und
brüllte wie ein Stier: "Bindet ihn ! Rebellen, die so gut
treffen, darf man nicht frei herumlaufen lassen. Seinen
eigenen Mörder im Lande zu wissen, ist kein Vergnügen. Aber
meine Türme in Küssnacht sind fest und tief." |
 |
Wie ein
Verbrecher, inmitten bewaffneter Knechte, wurde Tell an den
Seegeführt, wo Gesslers Schiffe am Ufer lagen. |
 |
 |
Tellsprung |
|
Die Knechte
hatten ihre Nauen noch nicht weit vom Ufer weggerudert, als
ein drohendes Unwetter vom Gotthard her über den Urnersee
hereinbrach. Bald raste der See in hohen Wellen , so dass
die Schiffe wie Nussschalen hin und her geworfen wurden.
Hellauf flammten die Wogen, wenn die Blitze ins brodelnde
Wasser niederfuhren. Es krachte in den Bergen, und
unheimlich dröhnte das Echo von den felsigen Wänden. |
|
 |
Gesslers
Knechte wehrten sich tapfer gegen den tobenden See.
Verbissen schlugen Sie die Ruder ins Wasser und stemmten
sich gegen die Wucht der Wellen, die gegen den Nauen
peitschten. Tell sass am Bug des Kahnes und starrte in das
tobende Wasser. Mit keiner Wimper zuckte er, mochte sich
auch das Schiff aufbäumen wie ein wilder Hengst und krachend
wieder in die Wellentäler fahren, sein Gesicht war wie
versteinert. Manchmal blickte Gessler in dieses harte
Antlitz, das kantig und verschlossen war wie die Felsen, die
beidseitig die Ufer säumten. Jetzt fuhr ein greller
Blitzstrahl nieder, ein heller Knall, dann dumpfes Rollen
und Kollern in den Bergen. Ein Wirbel erschütterte den Kahn,
und Wasserzungen peitschten die Männer an den Rudern. |
 |
Gesslers
Stimme überschlug sich vor Angst und Zorn: " Fahrt doch
nicht so weit vom Ufer weg ! Kopflose Narren, sollen wir
alle untergehen in dieser nassen Hölle ?" |
 |
Die Knechte
verstanden im Heulen und Brausen des Sturmes nicht, was
Gessler schrie. Und wieder stürzte das Schiff in den Rachen
einer aufspringenden Welle. Der Vogt blickte stier vor sich
hin. Er hatte nur noch einen Gedanken: "Heraus aus dieser
Hölle!" Tell verstemmte sich mit seinen starken Beinen im
schwankenden Schiff. Die Knechte rissen verzweifelt an
Steuer und Rudern, aber der Kahn trieb wie ein Schwemmholz
auf den Wellen. Als wieder eine schäumende Woge drohend auf
das armselige Schiff zurollte, vielleicht die letzte vor dem
Untergang, kroch Gessler zu Tell hinüber und befreite ihn
von den Fesseln. Der Bauer verstand, was das bedeutete. Er
griff nach den Rudern und nahm den Kampf auf gegen den
mörderischen Sturm. Ein Blitz erhellte das Ufer. Da wusste
Tell gleich, wo sie sich befanden. Er steuerte sein Schiff
einem Felsvorsprung entgegen. Rasch warf er dem Vogt, der
sich zitternd in seinen samtenen Mantel gehüllt hatte und
wie ein Irrsinniger vor sich hin glotzte, einen
verächtlichen Blick zu. |
 |
Die Felsplatte,
nach der Tell spähend Ausschau hielt, rückte immer näher.
Jetzt rief er den Ruderern zu: " Zieht fest, wir sind am
Ziel!" Krachend stiess der Kahn am Felsen an. Tell fasste
seine Armbrust, wippte in die Knie, setzte in einem
gewaltigen Sprunge auf dem Felsenboden über und stiess das
Schiff hinter sich in den tobenden See zurück. Als Gessler
merkte, dass Tell entronnen war, riss er sein Messer von der
Seite und drohte: " Auf jetzt ! Der erste, der nachgibt, ist
hin. Ich will in diesem verfluchten Wasser nicht umkommen,
versteht ihr ?" |
 |
Noch eine
Weile lang sah Tell vom sicheren Bord aus das Schiff
dahintreiben. Dann entschwand der Kahn seinen Augen. |
 |
Eilig erklomm
der glücklich Gerettete den steilen Uferhang. Manchmal
strauchelte er im dichten Gestrüpp, und doch war er noch nie
in seinem Leben einen steilen Weg so leicht gegangen. In
seinem Herzen jubelte es: "Ich bin frei ! Freiheit, o
wunderbares Geschenk!" |
 |
Aber plötzlich
wich dieser Jubel aus seinem Herzen, und düstere Bilder
stiegen vor seinen Augen auf. Er sah wieder den Wälti mit
dem frohen Leuchten in seinen Augen, und daneben grinste aus
dem Dunkeln die aschfahle Fratze des Vogtes. Tell tastete
nach seiner Armbrust und drückte sie, als wäre sie sein
liebstes Kind, fest an seine Brust. Während die grässlichen
Bilder wie ein Geisterspuk vor seinen Augen schwebten,
bewegten sich seine Lippen leise: "Vogt, deine Zeit ist
abgelaufen." |
 |
Ein schwerer
Regen rauschte im Blätterwerk der Bäume, und wie eine
Totenklage geisterte der ferne Ruf einer Eule. Tell setzte
seinen Weg fort durch dunkle Wälder, dem heimkehrenden Vogt
entgegen. |
 |
Gegen Mittag
des anderen Tages hielt sich der Schütze bei Küssnacht
hinter einem Haselbusch versteckt. Zwischen den Blättern
hindurch spähte er auf das steinige Bett des Hohlweges
hinunter, auf dem er seinen Todfeind erwartete. Dicht neben
ihm lagen Armbrust und Pfeil zum Schuss bereit. Als schon
die Schatten länger fielen, ertönte der Schall eines Hornes
im engen Durchgang. Tell war sicher: Gessler ritt heran. |
 |
Ein Bäuerlein,
durch das Horn der herannahenden Ritter erschreckt, wollte
sein Kuhgespann im engen Pass wenden. Dumpf brüllten die
Tiere unter den Stockschlägen. Fieberhaft mühte sich der
Bauer, Platz zu schaffen für den gefürchteten Herrn. O
Schreck, da krachte die Deichsel des Wagens, und die Tiere
liefen mit zerrissenem Zuggeschirr davon. Da nützte dem
Bauer alles Fluchen und Rufen nichts. Die Kühe waren toll
geworden von den Schlägen und sprangen mit erhobenen
Schwänzen geradewegs dem Tross entgegen. |
 |
Gessler sah
den Bauern, der sich am Wagen abmühte. Da rief er ihm zu:
"He, Alter, ich bin mich nicht gewohnt, wegen dreckiger Kühe
lange zu warten!" |
 |
Der Bauer
wagte kein Wort zu wiederreden, sondern versuchte aufgeregt
die Kühe einzufangen. |
 |
Gesslers
Stimme gellte in der hohlen Gasse: "Schafft mir den Kerl aus
dem Weg ! Die Kühe nehmt mit auf die Burg ! Ein Bauer, der
nicht imstande ist sein Vieh zu führen, soll auch keines
haben." |
 |
Flink sprangen
die Knechte von den Pferden. Zwei banden den Bauern, die
übrigen griffen nach den Kühen. Jämmerlich flehte der
Gebundene: "Habt Erbarmen, Herr Vogt! Meine Frau liegt krank
im Bett. Und ich hab sechs kleine Kinder, die brauchen Milch
und Brot." |
 |
Ein Schlag
traf den Gefesselten. Blutige Striemen liefen über sein
Gesicht. Gesslers scharfe Stimme schnitt ihm mitten ins
Herz. " Aus meinen Augen, Schuft !" |
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Da zischte es
schwirrend aus dem Gebüsch. Ein Pfeil durchschnitt die Luft.
Zitternd steckte er in der Brust des Vogtes. Gessler wankte,
dann fiel er seitwärts vom Pferd. Erschrocken eilten die
Knechte herbei und hielten den Gestürzten in den Armen.
"Herr, was ist Euch geschehen?" fragten sie bang. Der Tyrann
schlug seine brechenden Augen auf und verhauchte die letzten
Worte:
"Das war Tells
Geschoss."
Dann
starb er. |
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Link zum
Tellmuseum in Bürglen:
www.tellmuseum.ch
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Viel Spass wünscht Ihnen InfoZentralschweiz.ch |